In den 70er Jahren war sie noch Science-Fiction: die Videotelefonie. Wer hätte damals gedacht, dass so tatsächlich die Zukunft aussehen würde: Tägliche Live-Chats mit den Eltern, Video-Konferenzen mit der halben Belegschaft und „dank“ Corona auch noch die Möglichkeit Theater online zu erleben – während man quasi in der Jogginghose auf dem Sofa hockt. Surprise, surprise – wie so vieles im Leben, erweist sich, was man sich nie hätte vorstellen können, als spannend. Etwas, das man von der neuesten Produktion von „Nesterval“ durchaus behaupten darf. Ursprünglich als Stück für die Bühne konzipiert, wurde das Projekt mit Ausbruch der Corona-Krise kurzzeitig ins Netz verlegt. Dass das erstaunlich gut funktioniert, ist unter anderem der Arbeitsmethode des Kollektivs – das aus PerformerInnen, Drag-Artists, Amateur- und ProfischauspielerInnen besteht – zu verdanken. Nesterval arbeiten immersiv, das heißt, das Publikum wird in die Stücke miteinbezogen – soll sozusagen die Möglichkeit erhalten in die Handlung eintauchen.
Per Konferenz-App „Zoom“ (die Anleitung zum Download erfolgt im Vorfeld – eine leicht verständliche Einführung zu Beginn des Stücks) steht man als Zuseher/Zuseherin miteinander in Verbindung. Von einem Host wird man alsbald gebeten, zweier Teams zu formen und als KritikerInnen am so genannten „Kreisky-Test“ teilzunehmen.
Auf den Spuren Gertrud Nestervals
Ein Test, dem das Stück offenkundig nicht nur seinen Namen zu verdanken hat, sondern, den man – wie man schnell erkennen muss – auch noch selbst durchzuführen hat. Aber keine Panik: die Fragen sind vorgegeben und die TeilnehmerInnen/SchauspielerInnen agieren freundlich – sie alle wollen auf die Insel der Seligen, eine Art abgeschottete Anlage, in der man seine Ideale einer besseren Welt hochhalten und für die Zukunft bewahren kann. Ausgetüftelt wurden Einrichtung sowie Test-Modalitäten von Gertrud Nesterval, einer ehemaligen vertrauten Bruno Kreiskys, die bis heute als verschwunden gilt. Grobkörnig eingespielte Filmaufnahmen aus den 70er-Jahren zeigen eine engagierte Genossin auf der Suche nach der zu lebenden Utopie. An Aktualität hat die Idee eines solchen Sanctums bis heute freilich nichts eingebüßt: auch wenn es in den 70er-Jahren weniger ein Virus als vielmehr die Atomkraft war, die die Menschheit bedrohte.
Irgendwann – so legt es das Stück zumindest nahe – sollen die Überlebenden eine neue Welt aufbauen. Wer von den TeilnehmerInnen allerdings warum wohin genau geht, oder doch nicht gehen will, erweist sich alsbald weniger brisant für die Stück-Entwicklung als vielmehr das eigene Befinden. Tatsächlich wirft „der Kreisky-Test“ mehr Fragen auf als er Antworten gibt. Und eben genau das ist Konzept. Korrumpierbarkeit, das genutzte Recht auf Mitbestimmung und der Schutz seiner Privatsphäre – als ZuseherInnen werden wir angehalten Dinge zu Hinterfragen. Wer wenn nicht wir.
Nesterval
Der Kreisky Test
Noch zu sehen in deutscher Sprache am: Di., 21. Fr., 24. April, 4.Mai (20.30 Uhr), 5., 7., 8., 11., und 12. Mai (18.00 und 20.30 Uhr)
in englischer Sprache: So., 26. Mo., 27. Di., 28. April (jeweils um 15:30, 17:15, 19:15 & 21:00 Uhr) sowie am 4. Mai (18.00 Uhr)
Ort: Vor dem Computer in den eigenen vier Wänden
Tickets: https://brut-wien.at
Titelbild: Astôn Matters als Gertrud Nesterval © Rita Brandneulinger
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